Die Riesenwellen von Nazaré
Die Tage ziehen sich wie Kaugummi, und der Gedanke an Nazaré lässt mich kaum schlafen. Ich sitze in meinem Wagen, irgendwo auf einem verlassenen Parkplatz, und höre den Regen auf das Dach trommeln. Die Straße nach Nazaré ist noch lang, aber ich spüre, wie sie mich ruft, wie sie mich lockt – hin zu diesen unverschämt großen Wellen, von denen alle reden.
Ich habe die Videos gesehen, immer und immer wieder. Diese Wasserberge, die sich in der Ferne aufbauen, als würden sie die Erde selbst verschlingen wollen. Die Surfer, die aussehen wie kleine Spielzeugfiguren, die sich dem Tod entgegenwerfen, nur um für ein paar Sekunden eins mit der Gewalt des Meeres zu sein. Es ist Wahnsinn. Reiner Wahnsinn. Und genau das zieht mich an.
Vielleicht ist es Nostalgie. Ich denke oft an die alten Zeiten zurück, als ich auf meinem Board stand, der Wind in meinem Rücken, das Wasser unter mir lebendig und unberechenbar. Es gab nichts Vergleichbares. Du warst ganz allein da draußen, nur du und die Elemente. Und wenn du stürztest – und du stürzt immer irgendwann – dann war es, als würde das Meer dich mit aller Macht zurückfordern. Nazaré ist das alles, aber auf Steroiden.
Ich habe keine Pläne, ins Wasser zu gehen, wenn ich dort bin. Dafür bin ich zu alt, zu klug oder vielleicht einfach nur zu feige. Aber das Meer ruft trotzdem. Es hat diese Art, dich zu sich zu ziehen, dich daran zu erinnern, dass du nur ein winziger Punkt in einem endlosen Universum bist.
Ich stelle mir vor, wie es sein wird, am Strand zu stehen. Der Wind wird salzig und kalt sein, die Luft schwer und voller Energie. Und dann, ganz plötzlich, werden sie auftauchen. Die ersten Wellen. Klein, fast harmlos, nur ein Vorspiel. Aber dann kommen die großen. Die wahren Giganten.
Ich stelle mir vor, wie ich dort stehe und zusehe, wie sie am Horizont wachsen, dunkle, pulsierende Wesen, die alles andere unwichtig machen. Mein Herz wird rasen, meine Hände werden zittern. Ich werde daran denken, wie es war, in der Brandung zu kämpfen, und ich werde ein kleines bisschen wehmütig sein, dass ich diese Kämpfe heute anderen überlasse.
Aber das ist okay. Es geht nicht darum, das Meer zu besiegen. Es geht darum, ihm zu begegnen. Nazaré wartet auf mich, und ich bin bereit, ihm gegenüberzutreten – nicht als Krieger, sondern als Zeuge.
Noch ein paar Tage. Noch ein paar hundert Kilometer. Und dann stehe ich dort, an der Schwelle zwischen Land und Wasser, zwischen Angst und Ehrfurcht. Nazaré. Die Riesenwellen. Sie rufen. Und ich werde da sein. https://youtu.be/8BOZI4YLXD8?si=LIkaqxr-99yiZFRf