Der Alte hat heute wieder eine dieser genialen Wahnsinnsideen gehabt. "Wir kürzen ab", hat er gesagt. "Direkter Weg zum See am Vulkan vorbei. Mount Azhdahak 3795m hoch. Vulkan", hat er gesagt. Zwanzig Kilometer Luftlinie. Vielleicht. Wenn man Flügel hat. Oder ein verdammter Vogel ist. Wir sind keine Vögel. Wir sind ein alter Mann mit einem fitten Hund und einem pickelharten Pick-up auf Allrad und Hoffnung.
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Der Azhdahak stand da wie ein stummer Gott aus grauem Stein, seine Flanken noch verschneit, selbst Ende Mai. Wir wollten ihm zu Füßen liegen, den Drachenberg riechen, seinen Atem spüren. Und dann kam der Schnee. Erst eine Verwehung – wir drüber. Dann noch eine – wir umfahren durchs Vulkangeröll. Dann die dritte: ein Grab für Pick-ups. Der Alte steigt aus, flucht in drei Sprachen, schaut auf die Karte, flucht wieder, schnauft wie ein alter Diesel. Dann zieht er die Reißleine. Umkehren. Man muss wissen, wann der Berg gewonnen hat. Heute war er stärker.
Aber weißt du was? Es war trotzdem Magie in der Luft. Wir haben Wasser gesehen, das bergauf fließt – ich schwöre bei meinem Napf! Angeblich eine optische Täuschung? Aber der alte meint so blöd kann er doch gar nicht sein. Kleine Quellen, die aus dem Bauch des Drachen steigen, blubbernd, warm, lebendig. Der Vulkan atmet. Vielleicht träumt er. Vielleicht ist er nur hungrig nach uns.
Und das tollste, der Alte fährt einfach drüber mit dem Kommentar sich eine Unterbodenwäsche abzuholen. Dabei hätten wir einsacken können bis ins Erdinnere. Dieser Trottel.
Und dann waren da diese Steine. Die Bullshapes. Megalithen. Wie getrunkene Riesen sie zufällig in die Landschaft geworfen hätten, bevor sie umkippten und starben. Oder tanzende Drachen, die beim Sonnenaufgang versteinert wurden. Irgendetwas zwischen Mythos und Mathematik. Der Alte stand davor, hat sich eine Wurst gegessen und nichts gesagt. Wenn er schweigt, sagt er manchmal am meisten.
Dann die Straße. Wenn man das überhaupt Straße nennen darf. Eher eine Aneinanderreihung von Löchern, Felsen, Steinen, Schlamm und Witzen. Die schlechteste Straße Armeniens, sagt der Alte. Ich glaube, es ist die schlechteste Straße der Welt. Vielleicht die schlechteste aller Zeiten. Ich bin durchgeschüttelt worden wie ein Würstchen im Mixer. Aber wir sind durch. Irgendwie.
Jetzt liegen wir oberhalb vom Kloster Geghard. Biblischer geht’s kaum. In den Fels gehauen, von Mönchen gebaut, die mehr mit den Sternen redeten als mit Menschen. Unter uns das Tal, über uns der Donner. Das Gewitter sitzt auf unserem Dach wie ein alter Kater und kratzt. Aber wir sind trocken. Wir sind warm. Und wir haben den Drachen gesehen.
Alle paar Minuten Pfeift die Fontäne Warmes Wasser aus einem Rohr und der Alte überlegt schon wieder Duschen zu gehen.
Vielleicht sind wir keine zwei Kilometer Luftlinie gekommen. Aber manchmal sind zwei Kilometer mehr als die ganze Welt.
Und ich? Ich schnaufe zufrieden, kaue noch an einem Stück armenischem Brot und warte auf den nächsten Wahnsinn des Alten. Vielleicht besiegen wir morgen den Schnee. Vielleicht auch nicht. Aber es wird laut, dreckig, schön.
– Castor (mit schmutzigen Pfoten und einem Herzen voll Vulkanblubbern)