Warum nennt ihr Menschen das Schwarze Meer „schwarz“?

Ein Bericht von Castor, dem Hund auf Achse

Ich sitzte am Strand, die Nase halb im Wind, halb in der Mandel von gestern. Der Alte sagte nichts. Er tat das oft. Da Vorne flackert das Meer wie ein müder Traum.
„Schwarzes Meer“, murmelte er neulich, „warum eigentlich schwarz?“
Ich zuckte mit dem Ohr. Gute Frage. Ich meine, ich sehe Farben anders. Aber das da draußen – das ist nicht schwarz. Das ist das große Dazwischen. Manchmal ein bisschen wie Leberpastete in flüssig.

Wir sind jetzt fünf Tage hier. Ich rieche Salz, Fisch, alten Diesel und das Parfüm einer Frau, die gestern ein Stück Brot in meine Richtung warf. Der Alte hat's nicht gesehen. Ich hab ihr kurz die Hand geleckt. Geschmack von Einsamkeit und Zigaretten. Gute Mischung.

Aber zurück zum Thema. Ich hab recherchiert. Also: Ich lag im Sand und hab zugehört, wenn der Alte was gemurmelt hat, oder Leute an der Promenade laut über Dinge sprachen, die sie nicht ganz verstanden. Typisch Mensch. Viel Meinung, wenig Schnauze.


Das mit dem Schwarz – da gibt’s mehrere Theorien

Erstens: Die mit der Richtung

Die Osmanen – das waren so Typen mit Säbeln, Pferden und Sinn für Ordnung – nannten Himmelsrichtungen nach Farben. Schwarz war der Norden. Und dieses Meer hier liegt nördlich von Istanbul. Zack, Schwarz. Einfach, pragmatisch. So sind Menschen manchmal.

Zweitens: Die mit der Tiefe

Ab 150 Meter Tiefe beginnt der Tod. Kein Sauerstoff, kein Fisch, kein Nichts. Nur Bakterien, die furzen – Schwefelwasserstoff, stinkt wie eine Mischung aus verfaultem Ei und nassem Teppich. Aber für Wracks perfekt: keine Würmer, keine Fäulnis. Als ob das Meer beschlossen hätte, seine Vergangenheit zu konservieren.
Ich finde das romantisch, irgendwie. Ein Meer, das nicht vergisst.

Drittens: Die mit den Griechen

Die alten Griechen nannten es erst „Unfreundlich“, dann, um den Ärger zu vermeiden, „Gastfreundlich“. Aber das war eher Marketing. In Wirklichkeit war das hier immer ein wilder Hund. Groß, störrisch, unberechenbar. Einer, der bellt, wenn du dich näherst. Und beißt, wenn du zu lange bleibst.


Und wie sehe ich es, der Hund mit dem Bauch voller Geschichten?

Ich sehe ein Meer, das nicht laut ist. Keines, das protzt. Sondern eines, das flüstert. Und das reicht. Ich hab in den Himmel gebellt, ich hab Möwen verjagt, ich hab mit dem Alten Brot und Stille geteilt.
Und ich weiß jetzt: „Schwarz“ meint nicht die Farbe. Es meint das Gefühl, das du bekommst, wenn du lange genug hinschaust. Wenn du wagst, hinunterzusehen in das, was unter der Oberfläche liegt – in das Schweigen, das nach Geschichten riecht.


Also, warum nennt ihr es „Schwarzes Meer“?
Weil euch manchmal das Herz schwer wird, wenn ihr zu lange an den Rand schaut. Weil ihr wisst: Unter allem Schönen liegt etwas, das sich nicht greifen lässt. Und weil ihr es trotzdem wagt, zu reisen.
So wie ich.
Castor.

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