Durch die Steppe nach Wolgograd – eine Fahrt auf den Spuren meines Vaters

Es war keine geplante Etappe. Die Zöllner in Astrachan hatten mich abgewiesen, da der Grenzübergang nicht für ein E-Visum vorbereitet ist. Ich war frustriert, kurz davor, den Tag zu verfluchen. Doch manchmal, da sind es gerade die Umwege, die uns zu den bedeutendsten Orten führen. Heute war so ein Tag. Der Tag, an dem ich durch das weite, endlose Land fuhr – von Astrachan nach Wolgograd, dem früheren Stalingrad.


Die Straße zog sich durch eine flache, trockene Landschaft, von kahlen Hügeln unterbrochen, staubig, leer und dennoch voller Geschichte. Ich fuhr durch das Herz der Steppe – ein Landstrich, in dem vor über 80 Jahren das Schicksal hunderttausender junger Männer besiegelt wurde. Einer von ihnen war mein Vater.

Er war gerade 18 Jahre alt, als er sich in den eisigen Wintern des Jahres 1942 in den Schlamm, das Feuer und das Elend der Schlacht von Stalingrad werfen musste. Was er mir erzählte, waren keine Heldengeschichten. Es waren Erinnerungen voller Schmerz, Hunger, Angst – und Menschlichkeit. Vier Jahre lang war er danach in russischer Gefangenschaft. Und trotzdem sprach er nie mit Hass. Im Gegenteil.

„Die russischen Wachen, und die Bauern…“, sagte er leise, als wir einmal darüber sprachen, „…die hatten selbst kaum was. Aber sie haben ihr letztes Brot mit mir geteilt. Und manchmal sogar ihre letzte Zigarette.“

Heute, als ich durch diese staubige, vergessene Weite fuhr, konnte ich es fast fühlen – dieses Leid, das Mitleid, die Hoffnung. Es war, als läge es noch immer in der Luft, vergraben im Boden, schwebend zwischen den verdorrten Gräsern. Die Steppe hat kein Gedächtnis, und doch erinnert sie sich an alles.



In Wolgograd angekommen, war ich still. Keine Worte, kein Foto, kein Denkmal kann ausdrücken, was dort geschah. Es ist nicht nur ein Ort der Geschichte, sondern auch ein Ort meines eigenen Lebens. Denn ohne jene Bauern, ohne jene russischen Wachen, die einem jungen deutschen Soldaten halfen zu überleben, wäre ich heute nicht hier.

Manchmal zwingen dich Zöllner auf einen anderen Weg – und plötzlich findest du die Vergangenheit deiner Familie und deine Eigene.

Mütterchen Wolga – Melancholie, Menschlichkeit und der Herzschlag eines Landes

Ein Reisebericht in zwei Tönen


Teil I – In den Schatten der Sonne

sie fließt nicht.  

sie zieht.  

die wolga.  

3.530 kilometer  

und jeder meter ein versprechen,  

das nicht gehalten wird.  

von den hügeln bei waldai  

bis ins kaspische meer  

wälzt sie sich durch die seele russlands  

wie eine alte frau  

mit zu vielen erinnerungen  

und zu wenig trost.

hier, bei stalingrad,  

wo der wind durch die steppen pfeift  

als hätte er vor 80 jahren  

noch nicht genug geschrien,  

steht die sonne tief,  

sehr tief.  

sie fällt wie blei  

auf die wolga  

und macht aus wasser  

melancholie in flüssiger form.

ich traf menschen  

in tschetschenien,  

die mir brot gaben  

ohne zu fragen.  

in dagestan,  

bot man mir betten an,  

als wär ich ein verlorener sohn.  

in kalmückien  

lächelt man still  

mit einem blick,  

der mehr weiß  

als die bücher in unserer westlichen arroganz.

und wenn die sonne untergeht  

über mütterchen wolga,  

dann sitzt du da,  

vielleicht mit einem billigen wodka  

und schweigst.  

nicht weil dir nichts einfällt,  

sondern weil es zu viel wäre,  

es auszusprechen.

Teil II – Die Wolga in Fakten, Zahlen und Erinnerungen


Die Wolga ist Europas längster Fluss: 3.530 Kilometer vom Waldaihöhenzug bis ins Kaspische Meer. Sie ist nicht nur eine geografische Linie – sie ist Rückgrat, Schicksalsader und Symbol für das russische Selbstverständnis.

In ihrer Geschichte war sie Handelsstraße, Grenze, Schlachtfeld. Die große Schlacht um Stalingrad – heute Wolgograd – hat sich unauslöschlich in ihre Ufer gegraben. Noch heute tragen viele Orte an der Wolga den Nachhall dieser Vergangenheit in sich.

Der Fluss verbindet Städte wie Twer, Jaroslawl, Kasan, Samara, Saratow, Wolgograd und Astrachan. Über Stauseen und Kanäle wurde sie zur Lebensader der russischen Wirtschaft geformt – doch dieser technische Eingriff hat Spuren hinterlassen. Die Ökologie ist empfindlich, der Wasserstand sinkt, die Natur leidet still.

Und doch: Wer je an einem Sommerabend am Ufer saß, spürt die Melancholie dieser Landschaft. Sie ist nicht bedrückend. Sie ist tief. Ein Gefühl von Vergangenheit, Vergänglichkeit – und einer stummen Hoffnung, dass aus all dem Schmerz etwas Weiches wächst.

Mütterchen Wolga – du fließt durch ein Land, das dir ähnlich ist: verletzlich, widersprüchlich, stark.

Du kannst diesen Code einfach in deinem Blogger-Editor im HTML-Modus einfügen. Wenn du magst, kann ich auch ein passendes Titelbild oder ein stimmungsvolles Hintergrundbild vorschlagen.

Kalmückien – Europas letzte buddhistische Enklave

Mitten in Südrussland, zwischen Wolga und Kaspischem Meer, liegt Kalmückien – eine Region, die so gar nicht dem entspricht, was man sich unter Russland vorstellt. Weite Steppe, grasende Kamele, Tempel mit goldenen Dächern und Gebetsfahnen im Wind. 
Die Kalmücken sind das einzige buddhistische Volk Europas – Nachfahren mongolischer Nomaden, die im 17. Jahrhundert in russische Dienste traten.
Hier trifft der Buddhismus auf Sowjetvergangenheit, endlose Horizonte auf stille Einsamkeit. 
Wer sich auf die Reise dorthin begibt, taucht ein in eine stille, fremde Welt, die wie ein vergessenes Kapitel zwischen Asien und Europa wirkt.

Der Kaukasus und die Alpen – Zwei Giganten im Vergleich

Aktuell bin ich im Kaukasus in Georgien. Und verbringe einige Tage unter anderem am Anfang des Wilden Drestotals das leider nach wenigen Kilometern. Durch erdrutsche. Und Lawinen Abgänge. Blockiert ist. Hier kommt immer wieder der Gedanke dass es eigentlich nichts anderes ist als die Alpen in Österreich Deutschland und der Schweiz.

Aber es ist es wert? Die großen unterschiede einmal herauszustelle.

Der Große Kaukasus, eine der wildesten und ursprünglichsten Gebirgsketten Eurasiens, durchzieht Georgien wie ein Rückgrat aus uraltem Stein. Zwischen der Schwarzmeerküste im Westen und dem kaspischen Tiefland im Osten erhebt er sich mit dramatischer Wucht – und lädt unweigerlich zum Vergleich mit den Alpen ein, die Europas Herz prägen. Doch obwohl beide Gebirge monumental wirken, trennen sie Welten – geologisch, kulturell und touristisch.


Geologie und Höhe

Der Kaukasus ist jung und wild. Geologisch betrachtet gehört er zu den aktivsten Gebirgsregionen der Welt. Mit dem Schchara (5.193 m), dem höchsten Punkt Georgiens, und dem berühmten Kasbek (5.047 m), übertrifft er die Alpen bei weitem – der höchste Alpengipfel, der Mont Blanc, misst „nur“ 4.810 Meter.

Während die Alpen in ihrer eiszeitlich geformten Harmonie fast „europäisch aufgeräumt“ wirken, bleibt der Kaukasus roh, schroff und oft unzugänglich. Lawinen, Erdrutsche und kaum gesicherte Pisten prägen viele Täler – wie etwa das Truso-Tal oder das abgelegene Tuschetien. Genau das macht seinen Reiz für Abenteurer aus.

Natur und Klima

Beide Gebirge bieten beeindruckende Vielfalt – doch auf unterschiedliche Weise:


  • Alpen: Dicht besiedelt, stark erschlossen, mit gut gepflegten Wegen, Berghütten und Infrastruktur. Die Flora ist alpin, angepasst an moderate Höhenlagen.
  • Kaukasus (Georgien): Kaum besiedelt, viele Regionen sind nur saisonal erreichbar. Die Natur ist wilder: Gletscher, alpine Matten, dichte Wälder und Hochlandsteppen wechseln sich ab. Die Fauna ist vielfältiger – mit Braunbären, Wölfen, Steinböcken und sogar Luchsen.

Im Sommer ist der Kaukasus trockener und wärmer als viele Alpenregionen, was das Zelten in hohen Lagen angenehmer macht.

Kultur und Dörfer

In den Alpen erwartet einen gepflegter Postkarten-Charme: Chalets, Käse, Kühe mit Glocken. Im Kaukasus ist alles eine Spur rauer, ursprünglicher – und oft berührender:


  • Swanezien und Tuschetien: Alte Wehrtürme, halbverlassene Dörfer, uralte Bräuche. Hier wird noch selbst gebacken, gebrannt und geschlachtet.
  • Begegnungen: Gastfreundschaft ist keine Floskel, sondern Überlebensprinzip. Wer in einem Dorf strandet, bekommt Brot, Käse und Chacha – den georgischen Grappa – gereicht, ohne nach dem Warum gefragt zu werden.

Tourismus

  • Alpen: Perfekt organisiert. Skigebiete, Wellnesshotels, Wanderwege, Hüttenübernachtung mit Reservierungssystem. Wer Komfort sucht, wird hier glücklich.
  • Kaukasus: Noch ursprünglich. Wer hierherkommt, sucht das Abenteuer – oder besser: findet es. Manche Täler wie Sno oder Truso sind mit dem Geländewagen erreichbar, andere wie Omalo oder Ushguli nur mit Mühe. Doch genau darin liegt der Reiz.


Fazit

Der Kaukasus in Georgien ist kein Ersatz für die Alpen – er ist ein Gegenentwurf. Weniger komfortabel, aber unendlich eindrucksvoll. Eine Reise hierher ist kein „Urlaub“, sondern eine Erfahrung. Wer sich auf ihn einlässt, wird nicht nur Gipfel sehen, sondern Geschichten erleben, die man sich nicht ausdenken kann.