Harald und Gisela – ein unzertrennliches Paar auf Korsika

Harald war ein verdammter Stadtflüchtiger, der seinen Geländewagen packte und nach Korsika fuhr, weil die Luft dort nicht nach verbranntem Gummi und verlorenen Träumen roch. Sein Wagen, ein klappriger Militärkasten, der mehr Macken hatte als ein billiges Steak, war sein Eintrittsticket ins Nirgendwo.

Eine Woche lang schlief er in diesem ansatzweise rostigen Gefährt, trank billigen Wein aus dem 5 Liter Kanister von Jürgen und starrte auf das Meer, als könnten die Wellen ihm Antworten schreien, die er verstand. Was Harald nicht wusste, war, dass er eine Mitfahrerin hatte – Gisela, eine junge Ratte, die sich wie ein Schatten in die hintersten Ecken seines Wagens geschlichen hatte.

Gisela, die Rattenlady, lebte wie ein Fluch in diesem Wagen. Sie fraß seine Brotkrumen, tanzte auf seinen Landkarten und hinterließ kleine, freche Fußabdrücke oder Kothaufen auf seinen Notizen. Harald, der alte Knochen, merkte es nicht mal. Seine Augen waren so sehr auf die Freiheit der offenen Straße fixiert, dass er die kleinen Raubzüge, die nachts stattfanden, vorerst nicht bemerkte. Gisela, die kleine Diebin, war schlau. Sie wusste, wann sie sich verstecken musste, und dass ein alter Kerl wie Harald nicht mehr die schärfsten Sinne hatte, besonders nach ein paar Gläsern des korsischen Weins.

Eines Abends,

als Harald etwas nüchterner war und sein Wagen leise im Mondlicht an der Küste stand, hörte er ein Scharren. Er lauschte, starrte in die Dunkelheit und entschied, dass es Zeit war, dieser Sache auf den Grund zu gehen. Er stellte eine Falle auf – nichts Schickes, nur eine einfache Drahtkiste mit einem Stück Käse und einer Feder, die die Tür zuziehen sollte.

„Komm raus, du kleiner Bastard“, murmelte er, während er die Falle präparierte. „Mal sehen, ob du schlauer bist als ich.“

Gisela, die Ratte, roch den Käse. Hunger war ihr ständiger Begleiter, und Vorsicht ihr Lebensmotto, doch der Hunger siegte. Sie schlich sich heran, zögerte einen Moment – lange genug, um den alten Mann zu betrachten, der da lauerte, ein Glas billigen Fusel in de Hand – und dann schnappte die Falle zu.

Noch am Abend, bevor das Lamm auf dem Grill gar war, fand Harald seine Gefangene. Er öffnete die Kiste, und da saß sie, die Augen groß, bereit zu fliehen oder zu beißen. Harald lachte nur. „Du kleiner Scheißer“, sagte er mit einem Grinsen. „Du hast mein Essen geklaut und mein Auto zu deinem Zuhause gemacht.“ Er betrachtete die junge Ratte einen Moment lang. „Aber du hast Mumm, das gefällt mir. Und du hast Deine Familie verloren.“ 


Also nahm Harald Gisela mit nach draußen, setzte sie am Rand eines Feldes ab und gab ihr ein letztes Stück Käse. „Verschwinde, bevor ich es mir anders überlege“, sagte er. Gisela zögerte nicht, sie rannte ins hohe Gras, verschwand.

Harald kehrte zurück zu seiner Militärkarre, schüttelte den Kopf und lächelte. „Gisela war hier“, sagte er und schenkt sich ein weiteres Glas korsischen Rotwein ein. 


Dann startete er den Motor und fuhr weiter, durch Landschaften, die so rau und ungezähmt waren wie die Geschichten, die er eines Tages vielleicht erzählen würde. Und irgendwo, tief in ihm, fühlte er eine seltsame Art von Respekt für das kleine Biest, das sich in seiner Welt behauptet hatte.

Harald, der alte Sack, der die Menschenmassen satt hatte und Korsika als seinen letzten Zufluchtsort wählte, fand sich unerwartet in der Rolle einer Ersatzmutter wieder. Da war diese verdammt kleine Ratte, Gisela, die er zuerst nur aus seinem Geländewagen werfen wollte. Doch wie das Schicksal es wollte, traf er sie wieder, schnüffelnd an den Rändern eines Abfalleimers in einem verschlafenen Dorf, das wahrscheinlich ebenso seinen Namen vergessen hatte wie die Leute, die dort lebten.

Harald, der nicht der Typ für sanfte Gesten war, fand sich dabei wieder, wie er dieser Ratte Stücke von seinem Apfel hinwarf. Verfluchte Gewohnheit, dachte er, oder vielleicht die Einsamkeit, die nachts in seinem Kopf herumkroch. Gisela, schlau und vorsichtig, kam näher, angelockt vom Duft des süßen Apfels.

Mit der Zeit, und viel von Haralds billigem Wein, ließ er sie näher kommen. Sie fraß aus seiner Hand, ein kleiner Triumph in einer Welt, die nicht viel von Siegen hielt. Dann begann das Training. Harald, mit einem Lächeln, das aussah, als hätte er sich in eine Zitrone verbissen, lehrte sie, auf seine Schulter zu klettern. Sie zögerte, biss ihn einmal oder zweimal, aber sie lernte. "Vielleicht bist du nicht nutzlos", murmelte Harald, als sie es endlich schaffte, ohne seine Hilfe hinaufzukrabbeln.

Sie wurde seine ständige Begleiterin. Überallhin, wo Harald ging, war Gisela, sitzend auf seiner Schulter wie ein Kronjuwel in der Krone eines heruntergekommenen Königs. Die Leute starrten sie an, manche lachten, andere schüttelten den Kopf. Aber Harald kümmerte es nicht. Verdammt, er genoss die Aufmerksamkeit ein wenig, auch wenn er es nie zugeben würde. Und der Pastis aus Korsika half ihm dabei.

Sie fuhren zusammen weiter, durch Städte, die mehr von ihrem Ruhm hatten als von ihrer Zukunft, entlang von Küsten, die ihre besten Tage gesehen hatten. Und in dieser seltsamen, rauen Freundschaft fand Harald eine Art Frieden. 

Eine Ratte und ein Mann, beide Ausgestoßene auf ihre eigene Art, fanden ein Verständnis, das tiefer ging als die meisten menschlichen Beziehungen, die Harald je gehabt hatte. Der Einzige Irre, der in dieser Truppe noch fehlte war Jürgen, der meinte, einen 200jahre alten Bauernhof in der Steiermark umbauen zu müssen in der Hoffnung, dort einmal ins Gras beißen zu dürfen.  

"Vielleicht", dachte Harald, während er einen weiteren Schluck billigen Wein nahm und Gisela ihm die Wange leckte, "vielleicht ist das alles, was man braucht. 

Ein guter Drink, eine gute Fahrt und eine verdammte Ratte, die einem die Treue hält."

PS: Der Kern der Geschichte ist wahr. Harald hatte die Ratte in seinem Auto gefangen. Harald ist natürlich kein Stadtflüchtiger und er liebt auch alle Menschen, gleich ob sie ihm einen Pastis ausgeben oder nicht. Er trinkt keinen billigen Fusel und hat keine rostige Karre. Und ob Gisela tatsächlich Gisela heißt oder vielleicht Gerd ist auch noch unklar. Aber ich musste diese Story etwas blumiger schreiben, da ich die ganzen langweiligen Reiseberichte kaum noch ertragen kann. Also werden alle meine Reisestorys künftig etwas lebendiger werden. - Jürgen 

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