„Weißt du, was wir machen sollten?“, nuschelte Jürgen und schielte Harald durch halb geschlossene Augen an. „Wir brauchen Rum. Richtigen Rum.“ Harald rülpste, kratzte sich am Bauch und zog an seiner Zigarette. „Rum? In der Wüste? Klar doch, Bruder. Gleich hinter der nächsten Düne ist bestimmt die Bacardi-Fabrik.“
Jürgen kicherte wie ein Betrunkener, der seinen eigenen Witz zu gut findet. „Nee, ich mein’ das ernst. Wadi Rum! Der Ort in Jordanien. Die müssen da doch geilen Rum haben, bei DEM Namen!“Harald zog die Augenbrauen hoch. „Jordanien? Das ist doch direkt auf dem Weg nach Saudi-Arabien. Da gibt’s Alkohol doch erst ab zwölf Steinigungen.“ „Egal!“, rief Jürgen und schwenkte die leere Weinflasche. „Wir machen ’nen Zwischenstopp und holen uns ’nen ordentlichen Drink.“
Zwei Monate später – nach viel zu viel Sand, schiefem GPS und mindestens drei Nahtoderfahrungen auf jordanischen Pisten – standen Harald und Jürgen im staubigen Wadi Rum Village. Sie starrten auf die karge Landschaft. Keine Bar. Kein Rum. Nicht mal ein verdammtes Schild mit Happy Hour.
„Das ist es?“, fragte Harald und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Wadi Rum? Hier gibt’s nix außer Felsen und Ziegen.“ Jürgen zündete sich eine Zigarette an, ließ den Blick über die rote Wüste schweifen und sagte: „Alter… das ist kein Ort für Rum. Das ist ein Touristenloch für Leute, die gern Kamele aus der Nähe betrachten.“Harald kickte einen Stein zur Seite. „Kein Rum. Kein Bier. Wir sind tausende Kilometer gefahren für diese Scheiße?“ „Moment“, sagte Jürgen, griff zum Handy und googelte hektisch. „Oh… oh nein.“ „Was jetzt?“ „Wadi Rum ist kein Getränk. Es ist einfach nur… eine Wüste.“
Haralds Kinnlade fiel herunter. „Eine Wüste?“ „Ja. Mit Felsen. Großen Felsen.“
Eine Beduinenfrau kam lächelnd auf sie zu, mit einem silbernen Tablett in der Hand. „Tee?“, fragte sie höflich. „Tee…“, knurrte Harald und nahm das Glas. „Das ist genau das, was ein Mann braucht, nachdem er eine Woche lang seinen Arsch durch den Sand geschleift hat.“
Jürgen prostete ihm mit dem Teeglas zu. „Auf die größte Alkohol-Fata-Morgana unseres Lebens.“
Die beiden tranken den Tee in tiefem Schweigen. Die Sonne ging unter und tauchte die Felsen in Gold und Blutrot.
„Weißt du“, sagte Harald nach einer Weile und nahm einen weiteren Schluck, „das ist vielleicht der beschissenste Rum der Welt. Aber irgendwie schmeckt er trotzdem.“ Jürgen grinste. „Wadi Rum – die Wüste, die du nie vergessen wirst. Vor allem, weil du danach immer noch nüchtern bist.“Die Nacht kam, die Sterne funkelten, und irgendwo bellte ein Hund. „Noch’n Tee?“, fragte Harald. „Scheiß drauf“, sagte Jürgen. „Gib her.“
Wadi Rum – Der Tee, das Kamel und die Suche nach dem heiligen Schnaps
Harald und Jürgen saßen also da, die Füße im Wüstensand, den Tee in der Hand, immer noch leicht beleidigt von der Tatsache, dass Wadi Rum kein einziger Tropfen Rum enthielt. „Weißt du“, sagte Jürgen, „ich hab echt schon viele dumme Dinge gemacht. Aber das hier… das toppt alles.“ „Noch nicht“, meinte Harald grinsend. „Noch nicht.“
Und genau in diesem Moment, als die Sterne über ihnen aufleuchteten und ein kalter Wind durch das Tal strich, tauchte er auf: Mohammed der Kamelmann.
Er kam aus dem Nichts, ritt auf einem zotteligen Kamel, das aussah, als hätte es schon bessere Tage gesehen, und trug eine uralte Jacke, die mehr Löcher als Stoff hatte. Ein freundliches Grinsen breitete sich über sein Gesicht aus, während er sich näherte.„Ihr sucht Rum?“, fragte er mit rauer Stimme. Harald und Jürgen starrten ihn an wie zwei hungrige Wölfe, die gerade ein Reh entdeckt hatten. „Rum?“, fragte Harald vorsichtig. Mohammed nickte verschwörerisch. „Nicht Rum. Schnaps. Echter Beduinen-Schnaps. Stärker als eine Sandsturmnacht und zweimal so gefährlich.“
Jürgen sprang auf. „Wo? Sag uns, wo!“ Mohammed klopfte auf die Seite seines Kamels. „Kommt mit. Aber ihr müsst das Kamel nehmen.“ „Beide? Auf das Ding?“, fragte Harald skeptisch. „Ja, natürlich. Was denkt ihr? Das ist ein Kamel, kein Taxi.“
Zehn Minuten später wackelten Harald und Jürgen wie zwei betrunkene Seemänner auf dem Rücken des Kamels durch die Wüste. Jürgen hielt sich an Harald fest, und Harald hielt sich an seiner eigenen Todesangst fest.
Schließlich erreichten sie ein winziges Beduinenzelt, versteckt hinter einem Felsen. Mohammed schob die Zeltplane beiseite und bedeutete ihnen, einzutreten. Das Zelt war klein, rauchig, und in der Ecke stand ein rostiges Fass mit einer ominösen Flüssigkeit darin.
„Das ist es“, sagte Mohammed stolz. „Der beste Schnaps dieser Wüste.“
Harald trat näher und schnupperte. Es roch nach Diesel, Ziegenhaar und einer leichten Note von verbrannter Hoffnung. „Wird man davon blind?“, fragte Jürgen.
Mohammed grinste. „Vielleicht. Vielleicht auch nicht.“
Harald und Jürgen schauten sich an. Dann zuckten sie mit den Schultern.
„Ach, scheiß drauf“, sagte Harald und nahm den ersten Schluck.
Es brannte. Es brannte wie die Hölle. Harald hustete, seine Augen tränten, und er dachte für einen kurzen Moment, sein Gesicht würde sich ablösen.
„Es ist… fantastisch“, krächzte er. Jürgen nahm ebenfalls einen Schluck und begann sofort zu husten. „Das ist kein Schnaps. Das ist ein verdammtes Waffenschmiermittel!“ Mohammed lachte. „Willkommen in Wadi Rum!“
Und so saßen sie die halbe Nacht da, tranken den berüchtigten Beduinenschnaps und hörten Mohammeds Geschichten von Kameldiebstählen, Wüstenschlachten und anderen Absurditäten.
Als der Morgen graute, lagen Harald und Jürgen schnarchend im Sand. Der Kater würde mörderisch sein, aber das war eine Sorge für später. Jetzt zählte nur eins: Sie hatten den Schnaps gefunden.
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