Griechenland. Verboten. Vergessen. Vorbei.

Ein Kapitel aus: „Castor – eine kleine Lebensreise.“

Erzählt von einem Hund, der mehr sieht als man denkt.

Wir standen irgendwo in der westlichen Türkei an den Dardanellen. Hinter uns lagen staubige Straßen, vor uns die Ahnung von Europa. Ich döste auf dem Beifahrersitz, während der Alte auf sein Handy starrte wie auf eine Todesanzeige.
Seine Lippen bewegten sich, aber da kam kein Ton raus. Nur dieser Blick.

Langzeitreisen – Die ungeschönte Wahrheit - Oder: Wenn Freiheit nach nassem Hund, Mückenspray und schlechtem Wasser schmeckt

Du hast es getan. Du bist ausgebrochen. Raus aus der Tretmühle. Rein in die Freiheit. Rein ins Abenteuer.

Du fährst, du lebst, du atmest – und du schwitzt. Und fluchst. Und kratzt dich. Und hast Durchfall.
Denn was auf Instagram aussieht wie ein Werbespot für Outdoor-Glückseligkeit, ist in Wirklichkeit ein epischer Ritt durch Sand, Schweiß, Mücken und Misstrauen.

Dieser Post ist für all jene, die glauben, dass Overlanding einfach nur eine hübsche Drohne und ein Espressokocher auf dem Dachzelt ist.
Und für die, die schon lange unterwegs sind – und heimlich beim Lesen nicken werden.


1. Die tägliche Suche nach einem Übernachtungsplatz (und warum du am Ende doch oft im Staub stehst)

Man stellt sich das romantisch vor: Sonnenuntergang, Weitblick, ein Platz irgendwo mitten in der Natur.
Die Realität?
Du fährst stundenlang durch unbekanntes Terrain.
Die iOverlander- und ParkforNight Spots sind entweder überfüllt, vermüllt  gesperrt oder existieren gar nicht.
Du willst nicht mitten im Dorf stehen, weil dein Hund sich gerade in Kameldung gewälzt hat und die Dieselheizung röchelt wie ein kettenrauchender Busfahrer.

Du hast auch gerade keinen Bock nach Eweg langen aber netten Gesprächen mit Einwohnern.

Du suchst etwas Ruhiges, Schönes – aber bitte ohne Schlangen, ohne Skorpione, ohne Bären, ohne neugierige Dorfbewohner, ohne Militär und ohne Polizei.

Spoiler: Das gibt’s oft nicht. 

Aber: Das ist einer der Gründe weshalb mein Auto stark offroad-tauglich ist, um an solche Plätze zu gelangen an dem Andere niemanden vermuten oder nicht hinkommen.


2. Schlangen, Skorpione und andere lokale Spezialitäten

Du stehst in Regionen, in denen „Steppendekoration“ nicht aus Lavendel und Kieselsteinen besteht, sondern aus Dingen, die dich töten oder verletzen können, weil du in ihren Lebensraum eindringst.

Und dein junger Hund – nennen wir ihn naiv – steckt die Nase in jedes Loch, das nach Abenteuer riecht.

Plötzlich springt er zurück, winselt, schleckt sich die Pfote.
Du googelst hektisch „Wie lange lebt ein Hund nach einem Skorpionstich?“ während dein Puls durch die Dachluke rauscht.

Du willst schlafen.
Aber dein Hirn zählt keine Schäfchen mehr, sondern giftige Reptilien.


3. Mücken. Die wahren Herrscher der Wildnis

Es beginnt harmlos bei Sonnenuntergang.
Ein Summen. Eine juckende Stelle.
Dann zehn, zwanzig, hundert. Sie kommen in Schwärmen, organisiert wie ein Militärkommando.

Du hast alles dabei: Deet, Netze, Spiralen, Räucherstäbchen, dein letztes bisschen Verstand.
Nützt nichts.

Sie finden dich. Immer.
Sie beißen dir durch den Socken, durch das Moskitonetz, durch dein Ego.

Du kratzt dich um drei Uhr morgens blutig und überlegst ernsthaft, ob Sterilisation durch Selbstverbrennung eine Lösung wäre.


4. Vierzig Grad. Kein Baum. Kein Schatten. Kein Wind.

Man denkt, man ist ein harter Hund.
Bis man mit geöffneter Motorhaube im Nirgendwo steht, das Thermometer 44 Grad zeigt und selbst der Sand stöhnt.

Du sitzt in deiner Kabine, atmest durch den Mund, während dein Hund unter dem Auto liegt und aussieht wie ein geräucherter Teppich.

Du trinkst warmes Wasser.
Und du hasst dein Leben.


5. Lärmende Dorfjugend mit Bluetooth-Boxen

Du findest endlich einen ruhigen Platz.
Mit Aussicht.
Mit Wind.
Mit Hoffnung.

Und dann… tauchen sie auf.
Drei Roller, fünf Jungs, zwei Mädchen mit Selfiesticks.
Einer spielt Techno.
Einer fragt, ob du Influencer bist.
Einer fragt, ob du Gras dabei hast.

Du lächelst. Du winkst. Du stirbst innerlich.


6. Polizei, Militär & der Albtraum der Sicherheitslage


Du denkst, du hast den perfekten Spot.
Abgelegen, sicher, schön.

Dann kommt das Blaulicht.
Oder das Tarnmuster.
Oder beides.

“You can’t stay here. Security problem.”
Du nickst, obwohl du weißt: Der eigentliche Sicherheitsfaktor bist du – für dich selbst.
Und dann fährst du weiter. Im Dunkeln. Mit nassem Hund. Durch Schlaglöcher. Weil es eben nicht erlaubt ist, sich dort niederzulassen, wo es schön ist.


7. Der tägliche Schmutz – Sand, Gras, Schlamm, alles überall

'Du versuchst, Ordnung zu halten.
Du hast sogar eine Schuhmatte! Und einen Handbesen! Und ein ausgeklügeltes System!

Doch alles versagt, sobald es regnet.
Der Boden wird zu Betonlehm.
Du schleppst Schlamm in deine Kabine. Der Hund wirft Sand ins Bett.
Du liegst irgendwann auf Erde, isst auf Erde, schläfst auf Erde.

Du bist eins mit der Natur.
Unfreiwillig.


8. Dünnpfiff, kalte Duschen & der See, der dich verätzt hat

Du bist seit Tagen unterwegs.
Irgendwas war schlecht. Vielleicht das Wasser. Vielleicht der Straßenimbiss. Vielleicht das Vertrauen in deine Verdauung.

Du sitzt also da – klammernd an eine Klappschaufel, während der Hund dir dabei zusieht, wie du dein letztes bisschen Würde in ein Loch vergräbst.

Und danach willst du dich duschen.
Natürlich gibt’s keinen Luxus.
Nur eine kalte Kanisterdusche bei 8 Grad Außentemperatur und Windstärke 5.



Oder du springst in einen scheinbar glasklaren See in Anatolien, der sich später als Natronsee herausstellt.
Du kommst raus und deine Haut fühlt sich an wie ein eingeriebenes Grillhähnchen.
Du riechst nach Alge und Asche. Die Augen brennen.
Und plötzlich willst du wieder duschen. Aber die ist kalt. Also Natronsee. Also wieder duschen. Und so weiter.


9. Und plötzlich stehen drei Kangal neben deinem Hund


Es ist früher Abend.
Du denkst, heute hast du’s geschafft.
Toller Spot, kein Wind, kein Müll, kein Techno. Nur Schafe irgendwo in der Ferne.

Du kochst gerade Tee. Der Hund döst. Du nimmst einen tiefen Zug frischer Abendluft.
Und dann:
WUFF.
Noch ein WUFF. Und noch eins.

Drei Kangal. 60 Kilo Anatolien. 180 Kilo Missverständnis.
Sie kommen näher. Ohne Leine. Ohne Hirn. Mit dem Selbstbewusstsein von Security-Personal auf Anabolika.

Dein Hund, 15 Kilo Mischling, wedelt. Er denkt: Spielzeit!
Du denkst: Krankenhaus.



Du wirfst dich dazwischen, schreist, wedelst mit einem Klappstuhl.
Der Tee kippt. Der Hund rennt. Die Kangals folgen.
Und der Schäfer steht hundert Meter weiter, winkt freundlich – als wär’s ein tägliches Ritual.

Abends brauchst du einen Schnaps.
Oder zehn.


Und trotzdem...

Trotz Mücken, Durchfall, Polizei, Hitze, Staub, jugendlicher Tanzmusik und nächtlichen Schlangenattacken bleibst du.
Denn manchmal – nur manchmal – kommt dieser eine Moment:

Der Himmel färbt sich lila.
Dein Hund schläft ruhig.
Kein Laut. Kein Licht. Keine Verpflichtung.

Und dann weißt du:
Das hier ist nichts für Instagram.
Aber es ist echt.
Verdammt echt.

Und das reicht. Und du lernst nette Leute kennen? Der 99% der Einheimischen sind sehr freundlich und in manchen Ländern extrem gastfreundlich.



Natürlich ist das nicht immer so. Der größte Teil der Zeit ist wirklich angenehm, wenn auch manchmal herausfordernd. Insbesondere bei den administrativen Themen an den Grenzen außerhalb Europas. Und wer weiss wovon ich rede, der weiss dass ich auch etwas Sarkasmus mit hineingebracht habe. 


Never stop discovering.
Auch wenn es manchmal nach kaltem Kaffee, Hundefell und nassem Boden schmeckt.

Armenien – Staub, Stein und Wein

Armenien. Verdammt, was für ein Land. Ich hatte ja einiges erwartet – kahle Berge, ein paar alte Steine, vielleicht ein Glas schlechter Schnaps am Straßenrand. Aber was ich bekommen habe, war ein Schlag mitten in die Fresse der Erwartungen.



Es waren nur 2 Wochen aber mit der Intensität von 2 Monaten.

Schon bei der Einfahrt über die Grenze wurde klar: Das hier ist kein zweites Georgien. Es ist besser. Keine herumlungernden Plastiktüten, kein Theater. Stattdessen: Stille. Weite. Und Menschen, die dir in die Augen schauen, als wollten sie dir nichts verkaufen, sondern einfach nur wissen, wie’s dir geht. Unglaublich, aber wahr.

Somewhere between Steinen, Schnee und Donner – GeSCHEITERt am Mount Azhdahak


Der Alte hat heute wieder eine dieser genialen Wahnsinnsideen gehabt. "Wir kürzen ab", hat er gesagt. "Direkter Weg zum See am Vulkan vorbei. Mount Azhdahak 3795m hoch.  Vulkan", hat er gesagt. Zwanzig Kilometer Luftlinie. Vielleicht. Wenn man Flügel hat. Oder ein verdammter Vogel ist. Wir sind keine Vögel. Wir sind ein alter Mann mit einem fitten Hund und einem pickelharten Pick-up auf Allrad und Hoffnung.

https://youtube.com/watch?v=r1BIAa9Xuuk&si=x9UrRh_-zuVjup_n

Der Azhdahak stand da wie ein stummer Gott aus grauem Stein, seine Flanken noch verschneit, selbst Ende Mai. Wir wollten ihm zu Füßen liegen, den Drachenberg riechen, seinen Atem spüren. Und dann kam der Schnee. Erst eine Verwehung – wir drüber. Dann noch eine – wir umfahren durchs Vulkangeröll. Dann die dritte: ein Grab für Pick-ups. Der Alte steigt aus, flucht in drei Sprachen, schaut auf die Karte, flucht wieder, schnauft wie ein alter Diesel. Dann zieht er die Reißleine. Umkehren. Man muss wissen, wann der Berg gewonnen hat. Heute war er stärker.

Aber weißt du was? Es war trotzdem Magie in der Luft. Wir haben Wasser gesehen, das bergauf fließt – ich schwöre bei meinem Napf! Angeblich eine optische Täuschung? Aber der alte meint so blöd kann er doch gar nicht sein. Kleine Quellen, die aus dem Bauch des Drachen steigen, blubbernd, warm, lebendig. Der Vulkan atmet. Vielleicht träumt er. Vielleicht ist er nur hungrig nach uns.

Und das tollste, der Alte fährt einfach drüber mit dem Kommentar sich eine Unterbodenwäsche abzuholen. Dabei hätten wir einsacken können bis ins Erdinnere. Dieser Trottel.

Und dann waren da diese Steine. Die Bullshapes. Megalithen. Wie getrunkene Riesen sie zufällig in die Landschaft geworfen hätten, bevor sie umkippten und starben. Oder tanzende Drachen, die beim Sonnenaufgang versteinert wurden. Irgendetwas zwischen Mythos und Mathematik. Der Alte stand davor, hat sich eine Wurst gegessen und nichts gesagt. Wenn er schweigt, sagt er manchmal am meisten.

Dann die Straße. Wenn man das überhaupt Straße nennen darf. Eher eine Aneinanderreihung von Löchern, Felsen, Steinen, Schlamm und Witzen. Die schlechteste Straße Armeniens, sagt der Alte. Ich glaube, es ist die schlechteste Straße der Welt. Vielleicht die schlechteste aller Zeiten. Ich bin durchgeschüttelt worden wie ein Würstchen im Mixer. Aber wir sind durch. Irgendwie.

Jetzt liegen wir oberhalb vom Kloster Geghard. Biblischer geht’s kaum. In den Fels gehauen, von Mönchen gebaut, die mehr mit den Sternen redeten als mit Menschen. Unter uns das Tal, über uns der Donner. Das Gewitter sitzt auf unserem Dach wie ein alter Kater und kratzt. Aber wir sind trocken. Wir sind warm. Und wir haben den Drachen gesehen.

Alle paar Minuten Pfeift die Fontäne Warmes Wasser aus einem Rohr und der Alte überlegt schon wieder Duschen zu gehen.

Vielleicht sind wir keine zwei Kilometer Luftlinie gekommen. Aber manchmal sind zwei Kilometer mehr als die ganze Welt.

Und ich? Ich schnaufe zufrieden, kaue noch an einem Stück armenischem Brot und warte auf den nächsten Wahnsinn des Alten. Vielleicht besiegen wir morgen den Schnee. Vielleicht auch nicht. Aber es wird laut, dreckig, schön.

– Castor (mit schmutzigen Pfoten und einem Herzen voll Vulkanblubbern) 

Camping-Highlight am Sewansee: Armenian Camp bei Artanish, Armenien

Wenn man monatelang mit dem eigenen Offroader durch den Kaukasus und halb Osteuropa holpert, wird man genügsam. Eine halbwegs gerade Fläche, keine Müllhalde, vielleicht noch eine funktionierende Dusche – schon ist man glücklich. Und dann kommt man zum Armenian Camp beim Ort Artanish am Sewansee und fragt sich: Bin ich noch in Armenien oder schon im Camping-Resort-Paradies?